Emma

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Und zwar über Mario Barth. Sein Kollege Moritz Netenjakob erklärt uns, warum Barths Volkshumor komisch ist.

Emma, Juli/August 2009
von MORITZ NETENJAKOB

Er spielt nur noch in großen Arenen. Er hat das Berliner Olympiastadion ausverkauft. Ich habe im ausverkauften Rheinenergie-Stadion das Spiel 1.FC Köln gegen VFB Stuttgart gesehen. Und bei mir kommen auch meistens über 100 Zuschauer. Den Neid-Faktor können wir also getrost beiseite lassen. Ich verfasse diesen Artikel über meinen Berufskollegen Mario Barth mit der gebotenen journalistischen Neutralität.

Falls Sie sich mit Comedy nicht so gut auskennen: Der Beruf eines Comedians besteht darin, Menschen zum Lachen zu bringen. Diese Aufgabe erfüllt Mario Barth total: Wo er auftritt, lachen ganze Menschenmassen kollektiv Tränen. Echt? Wow. Super. Für einen Amerikaner wäre der Artikel an dieser Stelle zu Ende. Aber bei uns Deutschen gab es irgendwann einmal eine genetische Mutation in der Großhirnrinde, die uns zwanghaft die Frage stellen lässt: WARUM???

Tatsächlich habe ich selten so viele Intellektuelle ratlos erlebt wie angesichts des Mega-Erfolgs von Mario Barth. Einige sind geradezu wütend, weil sie einfach nicht fassen können, dass Menschenmassen schreiend lachen über Sätze, in denen nicht einmal der Ansatz eines komischen Gedankens zu stecken scheint. Es geht ihnen wie dem Kritiker, der einmal über ein Springmaus-Programm geschrieben hat: „Um mich herum haben 300 Menschen Tränen gelacht. Ich habe keine Ahnung, warum.“

Lassen Sie mich versuchen, das Geheimnis zu lüften. (Ich hoffe, meine Kollegen fallen danach nicht über mich her wie Zauberer über Berufsgenossen, die die Tricks verraten.) Eine Grundregel der Comedy lautet: Lachen und Nachdenken schließen sich gegenseitig aus. Ebenso wenig wie ein Linienrichter gleichzeitig den Moment der Ballabgabe und eine Abseitsstellung optisch erfassen kann, kann man über eine Pointe gleichzeitig lachen und nachdenken . Ein Gag braucht also immer eine Eindeutigkeit, um zu funktionieren. Das heißt, eine Pointe muss zwangsläufig mindestens einen Teil der Wirklichkeit ausblenden, denn die Wirklichkeit hat bekanntlich mindestens zwei Seiten. (Das sollten Sie bedenken, falls sie vorhaben, Ihr EMMA-Abo wegen zu geringer Gagdichte zu kündigen.)

Nehmen wir als Beispiel folgenden Witz: „Warum gibt es Männer? Weil Vibratoren keinen Rasen mähen können.“ (Zugegebenermaßen ist die Auswahl dieses Witzes ein billiger Anbiederungsversuch an die Zielgruppe dieser Zeitschrift, aber ich bin halt auch ein Comedian.) Abgesehen von der Qualität des Witzes, die ich eher im unteren Drittel ansiedeln würde, zeigt die Pointe exemplarisch, dass der Witz an sich nicht nur Teile der Realität ausblenden kann, sondern von der Realität sogar völlig unabhängig ist. Denn dass Vibratoren keinen Rasen mähen können, ist im philosophisch-religiösen Diskurs, warum es Männer gibt, nicht einmal der Ansatz einer plausiblen Erklärung.

Diese Natur des Gags an sich hat in Deutschland zur Folge, dass die Kritik in der Regel Unterhaltung nur dann lobt, wenn sie eben nicht funktioniert: „Toll, wie wenig Gags da drin waren, das hat mich irgendwie nachdenklich gemacht.“ Harald Schmidt zum Beispiel hat es zwischenzeitlich mal geschafft, seine Gag-Frequenz so nach unten zu fahren, dass sogar das Feuilleton ihn liebte.

Halten wir also fest: 1. Mario Barth übt seinen Beruf im Rahmen der Anforderungen des Genres Comedy zur allgemeinen Zufriedenheit aus. 2. Seine Aussagen sind von der Realität unabhängig.

Kommen wir also nun zum Inhalt: Mario Barths Thema heißt „Männer und Frauen“. Anhand zahlreicher Beispiele aus seiner eigenen Beziehung zielen seine Pointen darauf ab, dass Männer sich eher männlich und Frauen sich eher weiblich verhalten. Diese intellektuell betrachtet eher schlichte Analyse kann man Mario Barth nicht vorwerfen. Im Gegenteil: Wäre sie differenzierter, wären die Voraussetzungen für Comedy nicht mehr gegeben.

Jetzt kommt der nächste Einwand: „Okay, er macht das professionell, aber seine Rollenbilder sind doch reaktionär!“ Dieser Einwand ist natürlich berechtigt. Aber reaktionär muss ja nicht zwangsläufig schlecht sein. Ich erinnere mich noch gut, wie die 68er die Klotüren ausgehängt haben. Als wir 86er die Klotüren schließlich wieder eingehängt haben, war das reaktionär. Aber dafür hat es auch beim Frühstück gut gerochen.

Damit will ich natürlich nicht für eine Rückkehr zu alten Rollenmustern plädieren. Ich möchte nur die automatische Verknüpfung „reaktionär = ganz ganz schlimm“ auflösen, damit wir die Sache objektiver betrachten können. Friedrich Schiller definierte die Unterhaltung seinerzeit als „Das Angenehme“. Sagen wir also objektiv: Die alten Rollenbilder sind zwar im Zeitalter der Emanzipation reaktionär, aber sie sind offenbar großen Menschenmengen ein Wohlgefallen.

Und nun wieder zurück zur Kernfrage: WARUM? Mario Barth gibt den Menschen wenigstens für drei Stunden das Gefühl, dass alles noch eine Ordnung hat: Frauen können heute zwar Bundeskanzlerin werden, Genstränge analysieren, ins All fliegen, Paradontoseprophylaxecremes entwickeln und Systeme zur Abwehr von Nuklearwaffen steuern – aber wenigstens können sie immer noch nicht rückwärts einparken. Das beruhigt.

Ich fürchte zwar, dass viele Frauen nur deshalb schlecht einparken, um ihren Männern eine kleine Freude zu machen. Aber genau darum geht es ja: Die letzten kleinen Gewissheiten zu konservieren. Das ist auch der Grund, warum die Männer immer noch so schlecht zuhören: Damit alles seine Ordnung hat. Damit wir uns trotz Klimawandel, Schweinegrippe und Speed-Globalisierung noch ein kleines bisschen sicher fühlen auf dieser Welt. (Abgesehen davon ist es einfach nicht lustig, wenn eine Frau gut einparkt. Ich habe es schon oft gesehen – und habe ich gelacht?!)

Mario Barth beruhigt. Genauso war es einfach toll, als die Volksmusikgruppe „Die Randfichten“ 2004 einen Riesenhit mit dem Titel „Lebt denn der alte Holzmichl noch?“ landete. Der Refrain „Ja, er lebt noch, er lebt noch, er lebt noch“ hatte so etwas Hoffnungsvolles. Natürlich wäre es künstlerisch anspruchsvoller gewesen, wenn der alte Holzmichl im Refrain an einem Peniskarzinom verschieden wäre. Aber wer hätte so etwas hören wollen?!

Das Bedürfnis der Menschen nach Beruhigung ist spätestens seit dem 11. September 2001 größer geworden. Wenn die Türme wenigstens eingestürzt wären, weil eine Frau versucht hätte, das Flugzeug rückwärts einzuparken! Das hätte man verstanden. Aber so trug Ground Zero extrem zur allgemeinen Verunsicherung bei – und bereitete den Boden für Mario Barth.

Barth ist übrigens nicht der erste, der mit dem Thema „Männer und Frauen“ das Publikum begeistert. Da ist vor allem Horst Schroth mit seinem „Herrenabend“ zu nennen, und natürlich „Caveman“, das erfolgreichste Solo-Stück in der Geschichte des Broadways, das ein wenig anspruchsvoller den Mythos vom Jäger und der Sammlerin beschwört (Darüber habe ich übrigens Tränen gelacht!). Auch jeder andere pragmatisch denkende Comedian sagt sich: Wenn sonst nichts funktioniert, mach ich halt was über Männer und Frauen.

Was Mario Barth nun geschafft hat, ist, Bevölkerungsschichten in die Säle und Arenen zu locken, die sich normalerweise eher weniger für das gesprochene Wort interessieren. Mario Barth hat für diese Menschen die richtige sprachliche Ebene gefunden – wobei er sie wohl gar nicht gesucht hat. Er hat sie einfach. Er ist einer von ihnen. Einer aus dem Volk.

Mario Barth ist kein Opium, aber Kümmerling fürs Volk. Er erinnert mich auf der Bühne immer an amerikanische Fernseh-Prediger. Beide beschwören mit großer Geste und Charisma rituelle Formeln: die Fernsehprediger, dass Gott die Welt ordnet – Mario Barth, dass in den Handtaschen von Frauen das Chaos herrscht. Beides spendet Trost. Wenn man nur daran glaubt.

Meiner Meinung nach funktioniert Mario Barth allerdings besser als die katholische Kirche: bei den Christen findet die Erlösung erst im Jenseits statt, bei Mario Barth mittels erlösendem Lachen sofort. Und hier findet sich vielleicht auch der Grund für die Wut vieler Intellektueller auf Barth: Hier ist mitten in Deutschland ein quasi religiöser Kult entstanden, dem man mit intellektuellen Mitteln nicht beikommt.

So bleibt zum Schluss nur die Frage: Muss ein politisch und gesellschaftlich interessierter und emanzipierter Mensch Mario Barth nicht doch irgendwie Scheiße finden? Von mir aus gerne. Religion und Aufklärung vertragen sich selten. Aber bedenken Sie: Im Namen von Mario Barth wurden und werden weder Kriege geführt noch Hexen verbrannt. Wenn Ihnen Herr Barth missfällt, schauen Sie sich doch einfach einen Komödianten an, der Ihnen ideologisch besser in den Kram passt. Mein nächster Auftritt ist übrigens, äh,… ja gut.



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