Börsenblatt des Buchhandels

In der Welt der schönen Dinge

Wo kaufen Autoren gern ihren Lesestoff? Hier verraten sie es. Diesmal schreibt Moritz Netenjakob über die Buchabteilung im Kaufhof.

Börsenblatt des Buchhandels, 21|2009
von MORITZ NETENJAKOB

Meine Tante Helli hat jahrzehntelang im Kaufhof gearbeitet. Nicht in der Buchabteilung, sondern in der Buchhaltung. Was für mich als Kind allerdings keinen Unterschied machte. Von Tante Helli lernte ich schon als Dreijähriger das Wort „Personalrabatt“. Was mir im Kindergarten beim Begriffe-mit-P-Raten einen klaren Wettbewerbsvorteil verschaffte.

Und noch immer, wenn ich das Kaufhof-Emblem am Revers einer Verkäuferin sehe, wirkt es auf mich wie unser Familienwappen. Eine naiv-romantische Verklärung eines kapitalistischen Großkonzerns – schon klar. Aber in welcher normalen Buchhandlung würde man auf die Frage „Entschuldigung, wo finde ich Die Blechtrommel “ die Antwort bekommen „Da müssen Sie in den dritten Stock zu den Spielwaren!“

Keine Frage, der Kaufhof nimmt im Buchhandel eine Sonderstellung ein. Nur hier kann man Das Parfüm wahlweise von Patrick Süskind oder von Yves Saint Laurent kaufen. Nur hier erhält man den Butt wahlweise gedruckt oder gefischt.
Und nur hier wird man für Illuminati in die Lampenabteilung geschickt.
Im Kaufhof erfährt die Literatur eine angenehme Erdung. Auf dem Etagenplan liest sich das wie folgt: „Welt der schönen Dinge: Uhren, Kosmetik, Lederwaren, Strümpfe, Bücher.“ Hier gibt es zwar nur wenige Sonette, dafür gibt es sehr viele Socken. Und, mal ehrlich: so schön Sonette auch sind – sie müssen schon verdammt gut geschrieben sein, damit man davon warme Füße bekommt.

Im Kaufhof wird der Kunde zum inneren Diskurs herausgefordert: Theorie oder Praxis? Wählt man bei religiösem Erkenntnisdurst das Buch Gespräche mit Gott oder besorgt man sich doch etwas preisgünstiger bei Haushaltswaren einen Strick?

Manchmal fordert die Kaufentscheidung noch komplexere intellektuelle Anstrengungen. Bei meinem letzten Besuch z.B. hatte ich die Wahl zwischen einem Buch von Helmut Schmidt und einem rosa Einhorn-Steckenpferd. Beide Produkte befinden sich zwar in derselben Preisklasse, weisen jedoch ganz unterschiedliche Qualitäten auf: In den Kategorien „Scharfsinn“, „Altersweisheit“ und „Überraschende Erkenntnisse“ schneidet das rosa Einhorn-Steckenpferd eindeutig schlechter ab. Dafür ist das Buch von Helmut Schmidt weniger flauschig und man kann auch viel schlechter darauf reiten. Wahrlich keine leichte Entscheidung!

Natürlich finde ich es prinzipiell großartig, wenn eine Buchhandlung von einem literaturbesessenen Intellektuellen betrieben wird, der heitere Anekdoten zum Besten geben kann, z.B. wie er einen kasachischen Lyriker für eine Lesung im Kofferraum über die Grenze geschmuggelt hat oder wie er ein Jahr lang in seinem Hinterzimmer einen Vertreter des armenischen Realismus durchfütterte, der ihm dann zum Dank einen hundertzweiunddreißigseitigen Essay über Rassismus gewidmet hat.

Aber ich fühle mich einfach minderwertig, wenn mich ein 60jähriger Buchhändler mit vorwurfsvollem Keiner-interessiert-sich-heute-mehr-für-russischen-Expressionismus-Blick anstarrt, weil ich ihm Harry Potter auf die Theke lege. Im Kaufhof laufen Menschen rum, die Bücher von Dieter Bohlen und Sonya Kraus kaufen. Da fühle ich mich glatt als Literat. Und außerdem: obwohl Tante Helli längst pensioniert ist, kriegt sie immer noch Personalrabatt.



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